An der Grenze: Griechenlands Antwort auf afghanische Schutzsuchende

Kommentar

Wenige Tage nach der gewaltsamen Machtergreifung der Taliban in Afghanistan hat der griechische Minister für Migration und Asyl Notis Mitarakis vor einer Wiederholung der Situation von 2015 gewarnt und erklärt, Griechenland werde nicht das „Einfallstor nach Europa für illegale afghanische Migranten sein“.

Dass trotz der jüngsten Ereignisse in Afghanistan ausgerechnet der Minister, der es qua Amt besser wissen müsste, von illegalen Migranten statt von Flüchtlingen, deren Leben in Gefahr ist, spricht, lässt tief blicken. Diese Aussage ist symptomatisch für die Art und Weise, wie die griechische Regierung auf die Lage in Afghanistan blickt: Mit erhobenem Abwehrschild gegen potentielle Geflüchtete. So war es auch Minister Mitarakis, der gemeinsam mit seinen Kollegen aus den vier anderen Mittelmeeranrainern Italien, Spanien, Malta und Zypern, beantragt hatte, das Thema auf die Tages­ordnung der EU-Außenminister­konferenz letzte Woche zu setzen.

Gleichklang aus Brüssel

Aus Brüssel waren ähnliche, vor Migration warnende Töne, erklungen unter anderem vom EU-Außenbeauftragten Borrell, der zwar den Schutz von Menschenrechten aber auch die Gefahr "unkontrollierter irregulärer Migration” betonte.

Während eine Diskussion um die richtigen Schritte im Umgang mit den nun vertriebenen Afghaninnen und Afghanen notwendig ist, stellt sich zunächst die Frage, ob diese Menschen überhaupt nach Europa fliehen werden können. Vieles spricht dagegen, nicht zuletzt die hochgezogenen Mauern und abgeriegelten Grenzen entlang der Mittelmeer- und Balkanroute, über die 2015 noch Hundertausende vor allem Syrerinnen und Syrer geflüchtet waren. Catherine Woolard, Direktorin des “European Council on Refugees and Exiles” (ECRE) schätzt, dass die überwiegende Mehrheit der Schutzsuchenden aus Afghanistan in der Region bleiben wird. Abgesehen davon, dass die Taliban alle Landesgrenzen abgeriegelt haben und Flüchtende daran hindern, das Land zu verlassen.

Keine Diskussion in Griechenland

Gleichzeitig hat Griechenland in dieser Diskussion für sich, wie es scheint, schon längst eine Antwort gefunden: Nicht ob, sondern nur noch wie die Abriegelung der eigenen Außengrenze zur Türkei gelingen kann, wurde in den letzten Tagen intensiv diskutiert. Drei Tage nach dem Sturz Kabuls hatte der KYSEA, der Regierungsausschuss für Außen- und Verteidigungspolitik getagt. Auf der Agenda stand zwar auch die Evakuierung sogenannter Ortskräfte, die für die griechischen Truppen gearbeitet hatten. Doch anders als in Deutschland, wo die Frage nach der Evakuierung von Tausenden Ortskräften öffentlich debattiert wird, ist es in Griechenland um derlei Fragen vergleichsweise still. Kein Wunder, das Land hatte sich zuletzt mit lediglich 11 Soldat*innen an der NATO Mission in Afghanistan beteiligt. Der Krieg dort und die Lage in Afghanistan im Allgemeinen waren in Griechenland entsprechend deutlich weniger präsent als in anderen Teilen Europas.

Die Mauer zur Türkei

Demnach befasste sich der Regierungsausschuss im Wesentlichen mit dem Schutz der See- und Landgrenze zur Türkei. Der griechische Außenminister warnte bereits davor, die türkische Regierung werde die Situation instrumentalisieren, um Druck auf die EU auszuüben. Griechischerseits zieht man daher alle Register um auf eine solche Situation vorbereitet zu sein: mit der Einstellung weiterer 1.200 Grenzpolizisten zum Beispiel und mit neuestem technischen Equipment. Sogar die Idee FRONTEX um Hilfe zu bitten steht im Raum und das trotz des zuletzt durch die Pushback-Vorfälle belasteten Verhältnisses zwischen der europäischen Agentur und Griechenland. Der Minister für nationale Verteidigung, Nikos Panagiotopoulos sowie der Minister für Bürgerschutz, Michalis Chrysochoidis, haben gemeinsam mit dem Chef der Streitkräfte dem Grenzgebiet am Evros jüngst einen symbolträchtigen Besuch abgestattet, um sich vor Ort selbst von der „Standhaftigkeit“ der Grenzanlage zu überzeugen. Der Bau der 40 Kilometer langen Mauer zur Türkei ist dieser Tage finalisiert worden, darüber hinaus wurde ein hochmodernes elektronisches Überwachungssystem installiert.

Aussetzung des Rechts auf Asyl

Zusätzlich zu diesen bereits erfolgten Abschottungsmassnahmen diskutiert die Regierung zudem die Aussetzung des Rechts auf Asyl, ähnlich wie im März 2020, als die Lage an der Grenze Evros eskaliert war. Der damalige Andrang an der türkisch-griechischen Landgrenze hatte die griechische Regierung zu einer einmonatigen Suspendierung des Asylrechts veranlasst – ein Verstoß gegen internationales und europäisches Recht, der aber folgenlos blieb. Im Gegenteil: Die Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen war sogar eigens an die Grenze gereist um dem EU Mitgliedsland für seinen Einsatz als europäischer Schild zu danken. Es darf nicht wundern, dass die Aussetzung geltenden Rechts, wenn schon folgenlos praktiziert, erneut als legitimes Mittel diskutiert wird.

Kein sicherer Drittstaat

Was in der ganzen Debatte allerdings zu kurz kommt: Die griechische Regierung hat erst im Juni die Türkei als sicheres Drittland für Staatsangehörige aus Afghanistan, Syrien, Somalia, Bangladesh und Pakistan erklärt. Nach Ungarn in 2016 war Griechenland damit das zweite Land innerhalb der Europäischen Union, das die Türkei als sicheres Drittland für Geflüchtete wertet. Damit hat die Mehrheit der Afghaninnen und Afghanen keine Chance auf ein faires und rechtsstaatliches Asylverfahren und entsprechenden Schutz.

Abgesehen davon, dass die Türkei den Kriterien eines sicheren Drittstaats für Geflüchtete aus Afghanistan zweifelsohne nicht entspricht – die Türkei hat die Genfer Flüchtlingskonvention nur unter geographischen Vorbehalt unterzeichnet und gewährt Afghaninnen und Afghanen keinen Flüchtlingsschutz –  hat sie auch keinerlei Interesse an weiteren afghanischen Geflüchteten im eigenen Land),  das hat der türkische Präsident Erdogan nicht zuletzt im Gespräch mit dem griechischen Premierminister Mitsotakis bekräftigt. Beide Staatschefs treibt die Sorge vor der Ankunft weiterer afghanischer Geflüchteter um, darin herrscht Einigkeit.

Wegducken vor Verantwortung

Doch wenn scheinbar niemand zur Aufnahme von Frauen, Männern und Kindern, deren Leib und Leben im eigenen Land bedroht sind, bereit ist, wenn sich alle stets nur wegducken vor der Verantwortung, wer schützt dann diejenigen, die angesichts der Katastrophe in Afghanistan zweifelsfrei Schutz bedürfen?

In Deutschland leichtfertig geäußerte Aussagen a la “2015 darf sich nicht wiederholen” – ohne das eine Wiederholung der damals zweifelsfrei chaotischen Lage überhaupt ein realistisches Szenario wäre -  finden hier an der EU-Außengrenze unheilvollen Widerhall. Solche Rhetorik befördert die sich ohnehin drehende Spirale aus Aufrüstung der Grenzbefestigung und Abwehrmechanismen zwecks Abschottung. Wenn schon Deutschland kaum bereit ist, Menschen vor Ort zu schützen, sollten wenigsten klare Erwartungen an andere gerichtet werden. Die Lage ist komplex und es bedarf nun eines schnellen Handelns.

Was Griechenland betrifft, wird sich an den Außengrenzen - die wie Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zurecht betont hatte, nicht nur griechische, sondern auch europäische Außengrenzen sind- beweisen, ob die europäische Union es schaffen wird mit Humanität auf die Not afghanischer Menschen zu reagieren oder nicht. Ob auf Menschen, die alles verloren haben mit Pushbacks und Gewalt oder mit Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit reagiert werden wird. Es ist Aufgabe aller Mitgliedsstaaten für letzteres zu sorgen. Zahlreiche Eurocities, Kommunen in ganz Europa wie beispielsweise London, Barcelona aber auch Bonn, haben bedrohten afghanischen Schutzsuchenden, Frauen, Minderheiten oder Aktivistinnen und Aktivisten, die Aufnahme zugesagt.

Das ist die Haltung, die nun endlich auch die nationalen Regierungen Europas einnehmen müssen. Gemessen am Leid der Afghaninnen und Afghanen ist es das Mindeste.


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